Anders sein

Veröffentlicht auf von Jojo Heinz

In meinem Studiengang bin ich nunmehr als „l’Allemande“ – „die Deutsche“ bekannt. Das vor allem Dank meines Professors. Seit ich bei ihm in der Sprechstunde war, nutz er jede Gelegenheit, um auf meine Andersartigkeit hinzuweisen. Frau „Einz“, dass sie als Deutsche zu spät kommen enttäuscht mich aber! Frau „Einz“, kommen Sie mit, verstehen Sie alles? Frau „Einz“, wie ist das denn mit der deutschen Christdemokratie? Ich kontere mehr schlecht als recht – für Schlagfertigkeit reicht mein Französisch noch nicht. Trotzdem, in seiner Vorlesung fällt mein Namen häufiger als der Charles de Gaulles und ich bin gebranntmarkt.
Das erste Mal in meinem Leben habe ich wahrhaft das Gefühl, in einer Gruppe „anders“ zu sein. Mein Minderheitendasein ist nicht unangenehm. Man behandelt mich nicht schlecht, versucht mich zu lynchen oder auszurotten. Aber man behandelt mich eben – anders. Meine französischen Mitstudenten schauen neugierig  zu mir herüber und beobachten meine Schritte sehr genau. Sie trauen sich nicht recht, mich nach der Uhrzeit zu fragen, drehen sich lieber zu ihrem anderen Nachbarn um. Wenn sie mit mir sprechen, dann zögerlich und behutsam.
Bald werden sie sich wohl an die Deutsche gewöhnt haben – vielleicht sogar vergessen, dass ich die Deutsche bin.

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A
"Trotzdem, in seiner Vorlesung fällt mein Namen häufiger als der Charles de Gaulles..."<br /> Großartig!!!
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