Von Wegen zu Zielen
Mit dem Zug von Bangkok nach Chiang Mai
Manchmal – ich möchte mich dieses abgedroschenen Klischees bedienen – ist der Weg das Ziel. Ich fahre mit dem Zug von Bangkok nach Chiang Mai. Der Zug schleicht vorbei an bewässerten Reisfeldern, in denen Störche und Reiher baden und ab und zu auch asiatische Rinder mit putzigen Schlappohren. Neben kleine Häuser stehen noch kleinere bunte Schreine, in denen den Geistern Speis und Trank angeboten werden.
Der Zug hat Verspätung und hält oft ohne erfindlichen Grund. Wenn der Fahrtwind fehlt wird es warm in der dritten Klasse, die keine Klimaanlage und harte Sitze aus Plastik hat. Die Kommunikation mit den Mitreisenden ist schwierig. „Hallo“, „wie geht's?“ und „danke“, mehr weiß ich auf Thai nicht zu sagen und auch die Zeichensprache kann so große kulturelle Gräben nicht überwinden. Das Pärchen, das mir gegenüber sitzt, bietet mir Snacks an und weist rechtzeitig aus dem Fenster, wenn riesige Buddha-Statuen auf Hügeln sitzen. Die beiden ladenmich zu einem apfelsaftfarbigen Getränk ein, das in Plastiktüten mit Eis und Strohhalm serviert wird. Es schmeckt gewöhnungsbedürftig - sehr süß, aber auch nach verbranntem Holz. „Aroy“, „lecker“ sagt mein Gegenüber. Ich bestätige höflich, „aroy“! Immerzu laufen Essens- und Getränkeverkäuferinnen durch den Zug. Eine sagt etwas über mich. Ich kann nur das Wort „farang“, „Weiße" entschlüsseln und das ganze Abteil dreht sich nach mir um. Ananas, Mangos - grün und unreif -, und Rosenäpfel werden vor dem Verzehr in eine Marinade aus Zucker, Salz und Chili getunkt. Plastiktüten, die nicht mehr gebraucht werden, flattern aus dem offenen Fenster.
Zwischendurch steige ich aus, verbringe eine Nacht, zwei Nächte in geräumigen aber ungemütlichen Gasthauszimmern. In den Städten ist das Überqueren der Straße eine Mutprobe. Das kenne ich ja schon, aus Lateinamerika.; genauso wie ganze Familien auf einem Mofa und aufdringliche Tuk-Tuk-Fahrer - "Where you go?". An jeder Ecke findet sich ein 7-Eleven. Vor Internetcafés und Friseursalons ziehen sich die Kunden die Schuhe aus. Überall sieht mal goldene Tempel und Mönche in orangefarbenen Kutten. Abends strömt alles auf den Nachtmarkt, wo Essen verkauft wird: von Obst, über Suppe, Reis- und Nudelgerichte bis hin zu frittierten Insekten. Die Einheimischen lassen sich das Essen in Tüten mitgeben. Im Gehen isst hier keiner. In Chiang Mai tanzen sechsjährige überschminkte Geishas und blinde Sänger gehen mit Blechbüchsen um. Wie in jeder Hochburg des vermeintlich alternativen Tourismus häufen sich Fruchtshakes und Hippiehosen.
Ich schaue mir historische Tempel in Ayutthaya und Sukhothai an. Majestätische Buddha-Statuen vor blühendem Lotus-Teichen. In der „Bangkok Post“ lese ich, dass das thailändische Militär seine Soldaten für die Gefechte an der Grenze zu Kambodscha mit Talismanen ausstattet. Sie müssen sich vor der schwarzen Magie der Khmer schützen. Auf der Straße sieht man keine Aggression, keinen Frust, keine Zärtlichkeiten. Viele neutrale Gesichter und geduldiges Lächeln. Morgens und Abends ertönt auf allen öffentlichen Plätzen die thailändische Nationalhymne und ein ganzen Land steht still.
Ich fahre mit dem Zug von Bangkok nach Chiang Mai. Die Sonne brannt auf das Abteil, der Zug hat Verspätung und hält immer wieder ohne erfindlichen Grund an. Ich bin geduldig und lächle. Denn manchmal möchte man sich eines abgedroschenen Klischees bedienen.